#Mai: Roter Mohn – Kraft und Vergänglichkeit im Augenblick
Kaum zu übersehen ist der blühende rote Mohn, der uns zwischen Mai bis Juli begegnet. Diese Pflanze ist so präsent mit ihrer leuchtenden Farbe und gleichzeitig wirkt sie so zart, mit ihren dünnen Blütenblättern, die sanft zu Boden gleiten, sobald ihre Zeit gekommen ist. Ihr dünner Stängel wirkt so, als drohe er beim ersten Windsturm zu zerbrechen, doch er hält Stand – zumindest einige Augenblicke lang.
Rot wie Blut, schwarz, wie die Nacht – Leben und Tod vereint als Sinnbild in dieser Pflanze. Sie ist für mich der Ausdruck von Demut vor dem Augenblick. Der rote Mohn gibt alles, um gesehen zu werden, vollkommen erblüht für einen kurzweiligen Moment. Er fordert uns auf, uns einzulassen, ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken, denn sonst würden wir den einzigartigen Freude schenkenden Moment verpassen.
Sich hinzugeben, wirklich abzutauchen oder aufzugehen in etwas, das man gerade tut, bringt eine unglaublich lebendige Freude mit sich. Diese Freude ist frei von belastenden Gedanken, die uns nach dem Zweck unseres Tuns fragen. Sie ist fast eine kindliche und ungezwungene Freude.
Ich glaube, dass aus solchen Momenten heraus wirklich gute Ideen entstehen können. Nur braucht es zuerst den Raum, so dass sich etwas völlig losgelöst und frei entfalten kann. Und sollte dieses Etwas danach auch keinen weiteren Zweck erfüllen, so war es doch dann der Moment selbst, der uns höchste Glückseligkeit und Zufriedenheit verschafft hat.
Der rote Mohn fragt sich vermutlich nicht, ob sich der Einsatz, den er gibt, überhaupt lohnt: Wie lange werde ich blühen? Wie unversehrt bleibe ich? Kann ich mich gegen Sonne und Wind behaupten? Er ist ein kleiner Botschafter, der uns daran erinnern kann, die Lebendigkeit des Augenblicks zu nutzen, unsere Erfüllung im Tun wieder zu finden, mal weg vom Leistungsdenken und zurück zu Hingabe und Achtsamkeit. Hier gibt es kein Abwägen von Input und Output, keine Spekulation auf ein bestimmtes Ergebnis. Hier geht es einfach zuerst um den Moment, um das JETZT und damit um das Leben selbst, das uns allen immer nur im Augenblick widerfährt.